Koffer gepackt, iPod mit den aktuellen Loop-Liedern befüllt, Auto bis zum Anschlag voll getankt und Proviant in Form von vieeel Kaffee und einem prall belegten Schinkenbrötchen vom Bio-Metzger des Vertrauens auf dem Rücksitz verstaut und losdüsen Richtung Hamburg.
Für die nächsten drei Tage gelten folgende erstrebenswerte Ziele: Freunde treffen, Shopping, Unmengen der koffeinhaltigen Lieblingsflüssigkeit kombiniert mit einem oder auch zwei berühmt berüchtigten Lachsbagel im Elbgold verdrücken und frische Luft und Liebe beim angekündigten Hafenfest schnuppern.
Vor allem Letzteres malte ich mir im Vorfeld hübsch anschaulich und plakativ, insbesondere wunderbar romantisch aus und wunderte mich schon ein wenig, als ich meiner Lieblingslady, langjährig erfahrene Wahlhamburgerin, meine Wünsche bezüglich eines romantischen Abends zu viert anlässlich des Festes mitteilte. Diese sich jedoch bereits eine Spur reserviert zeigte und wage formulierte, wenn ich unbedingt wolle, könne man ja mal vorbeischauen und eine Runde drehen.
„Aber besser bleiben wir ein wenig abseits“ empfahl sie mir nachsichtig lächelnd – ein wenig so wie man mit einer geistig Verwirrten redet.
Was bei mir als einziges Wort hängen blieb: ABSEITS? Ich plante doch schon seit Wochen in Gedanken den großen cineastischen Gala-Kitsch-Auftritt:
Bettnachbar und ich inmitten großer und kleiner Fischerbötchen und Schiffe umgeben von zwitschernden Möwen, während die untergehende Sonne und das warme Licht von Girlanden auf unsere Köpfe scheint und leise chillige Musik von den Bühnen zu uns herüber wehen würde…
…Dass Möwen nicht zwitschern, sondern kreischen, sollte sich im Nachhinein noch als meine geringste Fehlimagination herauskristallisieren.
Denn Möwen, geschweige denn andere Vogelarten, kann man inmitten der weit über eine Millionen vermeintlicher „Romantik-Liebhaber“, die die gleiche Idee hatten, schon mal gar nicht hören. Sie werden je übertönt von grölenden, betrunkenen Menschenmassen und musikalischen Entgleisungen der ein oder anderen Art.
Und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, wer jemals dachte, die Autoscooter neben der Amazonasbahn auf der lokalen Kirmes (Lautschrift: Kürmes) aka DOM seien laut, erlebt annähernd harmonische Stille im Vergleich zum ohrenbetäubenden Getöse auf engsten Raum im Hamburger Hafen.
Ganz zu schweigen davon, dass ich dort bestimmt Vieles einatmete, frische Luft gehörte jedoch definitiv nicht dazu.
Ach und erwähnte ich, dass wir, wie meine kluge Freundin vorauschauend prophezeite lediglich „eine Runde außen herum“ drehten?!
Lichtblick am Ende des Tunnels nachdem wir uns aus den Klauen der übergroßen Menschenansammlungen befreien konnten: Einen (oder auch zwei) Strawberry Daiquiri beim sympathischsten Barkeeper der Stadt genießen und in bequemen Liegestühlen die Nacht auf dem Kiez genießen.
Am Ende: Mein allererstes Mal mit und bei Erikas Eck.
Learning nach der einschneidenden, von mir sehr naiv erdachten Hafenfeierlichkeit: Adé romantische Tagträume, hallo ergebnisorientiertes Agieren.
Daher vertraute ich den weisen Worte meiner Freunde und betrat das Eck, das eine gewisse Erika ihr Eigen nennt.
Und ja, es ist genau so wie es klingt, alle Klischees, die einem vielleicht gerade bei diesem Namen vor dem eigenen imaginären Auge visualisiert erscheinen, sie werden auf gefühlten 60 Quadratmetern reinster rustikaler Holzopitk Wirklichkeit.
Und doch: Frisch und großzügig belegt, lachten mir die legendären Rührei- und Fleischsalatbrötchen entgegen und eh ich mich versah, mümmelte ich bereits begeistert die noch warmen Backwaren.
Dabei ließ ich mir von einem, der es wissen muss, erklären, Erikas Eck sei ein echter Geheimtipp und etablierter Anlaufpunkt für alle Feierwütigen, die nachts unerklärliche Lust auf frische Schnitzel mit Kartoffelsalat á la Mama verspüren sowie für Taxifahrer, die ihre Nachtschicht hier gern mit einem deftigen Frühstück im 5 Uhr früh beenden.
Drei Rühreibrötchen später machten wir uns langsam auf dem Heimweg, atmeten die taufrische Luft ein, sahen der Sonne zu, wie sie ihre ersten zaghaften Strahlen über den Horizont schob, während irgendwo über uns in den Bäumen die Vögel zu zwitschern begannen…
Resumée: Das Leben ist nun mal nicht die perfektionierte modernisierte Sissi-Neuauflage, kann aber auch mit einer gehörigen Portion desillusioniertem Realitätssinn ganz schön sein.
Ich kriege Hunger. Und ich will Kaffee. Und am besten auch nach Hamburg.
Sprich: Klasse Text und tolle Fotos :).