von Matthias Reinecke, New York
New York City ist der helle Wahnsinn! Hier grinst einem der Irrsinn der westlichen Zivilisation dreist ins Gesicht, blicken sich die Gegensätze direkt an und die Notwendigkeiten des täglichen Lebens saugen einem die Dollarscheine kontinuierlich aus der Tasche.
Trotzdem ist man fasziniert und staunt und kann es gar nicht fassen, dass diese Stadt Realität ist, und dass man wirklich da ist. Seit wir im September 2002 zum ersten Mal die Stadt der Städte besucht haben, wussten wir, wir werden wiederkommen. Diesen März war es so weit – endlich.
Nach einem komplikationslosen Flug mit Singapore Airlines kommen wir gegen ca. elf Uhr vormittags etwas übermüdet am JFK an, und schnappen uns ganz stilecht ein Yellow Cab. Noch während der Fahrt zum Hotel weicht jegliche Müdigkeit von uns, denn Hulusi Donmez, unser Driver , fährt wie ein Henker.
Rote Ampeln? Donmez scheint deren Sinn fremd zu sein. Einmal schert er aus der vierten Reihe aus und fährt bei rot direkt auf die Kreuzung, rechts und links ein wildes Hupkonzert, der Verkehr auf der Kreuzung stockt wegen uns, eine Lücke tut sich auf und zack geht es weiter. Die Geschwindigkeit bleibt konstant hoch. Dreißig Minuten darauf erreichen wir unser Hotel und die ersten sechzig Dollar wechseln den Geldbeutel. Unser Gepäck müssen wir selbst aus dem Kofferraum holen; als wir die Rucksäcke schultern, ist Donmez bereits auf und davon.
Unser Hotel, das Pennsylvania, entpuppt sich als saubere und ausreichend komfortable Ausgangsbasis für die geplanten Streifzüge durch Manhattan. Das Zimmer ist klein und sauber. Auch das Badezimmer ist zu unserem Erstaunen akzeptabel, das Bett jedoch gewöhnungsbedürftig (drei dünne Laken, am Fußende alles unter die Matratze geschoben – des nachts fühlt man sich streckenweise gefangen). Genial ist die Lage, denn die Ecke 7. Avenue und 33. Straße liegt sehr zentral. Vis-a-vis befinden sich der Madison Square Garden sowie die Penn Station – was will man mehr?
Machen wir uns nichts vor, Big Apple ist laut und dirty. Die Stadt wird von einem permanenten Grundrauschen dominiert. Der Choral der Autos, Busse und Metrobahnen beschallt unser Ohr sogar nachts. Dass unser Zimmer im vierzehnten Stock liegt, ändert daran nichts. In den Gängen der Metro hört man allerorts Gesang oder Instrumentalmusik.
Das Sprachenwirrwarr ist gigantisch; immer wieder schnappen wir auch ein paar Brocken Deutsch auf. Die Luftqualität: abgasgeschwängerter Dunst. Unweigerlich denke ich an den Futuristen Marinetti und seine Ausführungen über die stärkende Kraft des industriellen Auswurfs. Er hätte seine wahre Freude am urbanen Exhalat von Big Apple gehabt. Um zu entspannen, schauen wir in den Nebenstraßen vorbei. Im Vergleich zu den Avenues ist der Verkehr hier teilweise deutlich reduziert. Als weiterer Garant für etwas Ruhe eignet sich ebenso der Central Park oder der Besuch in einer der zahlreichen Kirchen.
Da das Touristendasein in N.Y.C. durchweg anstrengend ist, schließlich erläuft man sich die Stadt, haben wir uns dazu entschlossen, jeden Tag gut essen zu gehen. Diese Entscheidung belastet zwar die Reisekasse, doch wer sich vergegenwärtigt, dass in einer einfachen Burgerbraterei an der Ecke ein Bulettenbrötchen schnell 7 Dollar kosten kann, bei mieser Qualität, der sollte lieber bereit sein zwei Doller draufzulegen. Ein zusätzlicher Bonus: ein sauberer Tisch, kein Plastikgeschirr, free tabwater und weniger Hektik.
Wer Geld sparen möchte, kann sich selbstverständlich auch an den an jeder Straßenecke stehenden Imbisswägen bedienen. Uns stimmte allerdings die Tatsache skeptisch, dass die feilgebotenen Nahrungsmittel dort den ganzen Tag dem direkten Sonnenlicht sowie direkt den Abgase ausgesetzt waren. Uns so zog es uns an Orte wie das Loving Hut, das Café Blossom, Peacefood, Angelica´s Kitchen, Vinnie´s Pizzeria, das Bliss Café & Bakery (Williamsburg, 191 Bedford Av., zwischen der 6. und 7. Straße), das Fresh ´n Co., das Wild Ginger oder den Chelsea Market.
Als Nahrungsausgangsbasis diente uns zusätzlich der WholeFoodMarket in der 7. Avenue. Eine sichere Adresse für unseren morgendlichen Hunger nach frischen Bagels waren Starbucks oder der Bagelboss in der 7. Avenue. Insgesamt machen wir die Erfahrung, dass Nahrungsmittel in New York durchweg teuer sind, und kamen pro Person pro Tag auf ca. $30,-. Sie möchten ein Schokocrossaint? Bitte, das macht dann $3,25,-. (Und wir regen uns zuhause über €1,25 für das gleiche Stück Backware auf…)
Da wir bereits 2002 eine mehrtägige Tour durch Manhattan absolviert haben, war von vornherein klar, dass wir auf die von Touristen bevorzugten sights (Grund Zero, Empire State Building etc.) verzichten würden. Einzige Ausnahmen waren der Time Square (damals noch nicht verkehrsberuhigt), das MoMa (haben wir 2002 nicht besucht, da wir nicht den Mut hatten raus nach Brooklyn zu fahren) und der Central Park. Diesmal wollten wir Flohmärkte besuchen, düsten nach Brooklyn Hights und Williamsburg (das aktuelle In-Viertel), reisten Richtung Norden mit der Metro North nach Sleepy Hollow (der gleichnamige Film mit Johnny Depp spielt genau dort!) und schauten auch bei den Hell´s Angels vorbei. By the way: eine 7 Tage gültige Metro Card kostet nur $29,- Dollar. Wer bei den Fahrten durch Manhatten mehr von der Stadt sehen möchte, sollte den Bus nehmen. Fahrten dauern dann etwas länger als mit der Metro, man sieht jedoch mehr – bekommt jedoch Kopfschmerzen wegen des Stop-and-go-Verkehrs.
Gleich drei Flohmärkte standen somit am 2. Tag auf unserem Plan: der Hell´s Kittchen Fleamarket (W 39.Straße/9. Avenue), The Garage (112W 25. Straße zw. 6. & 7: Avenue) und The Market bei der Old St Patrick´s Church (Prince Str. zw. Little Italy und Bowery). Der Hell´s Kittchen Markt bestach durch seine enorme Menge an Ständen: zwei an der Zahl. The Garage machte uns da schon neugieriger, da dieser eine Vielzahl von Ständen beherbergte, überdacht war und sich über zwei Ebenen eines alten Parkhauses erstreckte. Beim Stöbern fiel uns rasch auf, dass hier neben Vintage-Klamotten auch viel billiger Tand und Schund verkauft wurde, inklusive 50iger Jahre Privatnacktfotos (wer drauf steht…) und Nazidevotionalien (Uniformen, Abzeichen, White Power Buttons und Briefe aus dem KZ Dachau). The Market hingegen war schon eher nach unserem Geschmack. Hier präsentieren Jungdesigner Kleidung und Schmuck zu erschwinglichen Preisen, die Location war klein und übersichtlich. Klar, das wir hier zuschlugen: T-Shirts von Umsteigen und Piro (sorry, keine Webadresse) und Schmuck von Chameleon Jewelery Designs.
Wer ein Fan von Washington Irvings Erzählung vom kopflosen Reiter ist, der sollte für einen Tag dem Wirrwarr von N.Y.C. entfliehen und nach Sleepy Hollow aufbrechen. Laut Reiseführer würde das „Nest“ einem vorkommen, als ob die Zeit stehen geblieben sei. Als wir jedoch mit der Metro North in Tarrytown ankommen (wer nach Sleepy Hollow möchte, muss hier aussteigen), stehen wir mitten in einem klassischen Suburb. Nein, definitiv kein Retrofeeling. Dies stellt sich erst ein, nachdem wir den Friedhof erreichen, wohlgemerkt den alten Teil, der auch in Irvings Text erwähnt wird.
Und wirklich: hier ist es tatsächlich ruhig und ein gewisses Gefühl für vergangene Jahrhunderte beschleicht uns. Dünne alte Grabsteine verteilen neben groß angelegten Familiengruften berühmter amerikanischer Familien (u.a. Familie Rockefeller). Der Friedhof ist einer der ältesten der Vereinigten Staaten (www.sleepyhollowcemetery.org) und beherbergt auch zahllose Gräber von Männern und Frauen, die im Revolutionary War gegen England kämpften. Für us-amerikanische Verhältnisse also sehr alt.
Selbstverständlich sollte das Hauptquartiers der Hell´s Angels (E 3rd Street) als Sehenswürdigkeit nicht unerwähnt bleiben. Der Leitspruch über der Tür lässt aufhorchen: „When in doubt – knock ´em out!“.
Wer hätte denn etwas anderes erwartet? Dazu passt dann zwar die etwas biedere Bank neben der Haustür nicht (die zudem mit einem Schild versehen wurde, dass das Möbelstück privat sei), doch die gut abgedeckten Harley-Davidson-Chopper, die einzeln jede für sich über soviel Platz verfügen durfte, wie ein geräumiges SUV benötigt, unterstreicht deutlich, dass die Anwohner vor diesen Nachbarn Respekt haben. Schnell haben wir ein paar Fotos geknipst, und uns dann davon gestohlen.
Tja, was soll man sagen? Neun Tage New York gehen einfach zu schnell herum, man verliert den Überblick über all die Geschäfte und Orte, die man besucht (seid beruhigt, alles was ihr in Deutschland kaufen könnt, gibt es hier auch), merkt sich die Ecken, an denen es lecker Essen gibt, und irgendwann hat man einfach keine Lust mehr auf Teuer. Man sehnt sich nach Ruhe, nach nächtlicher Dunkelheit. Danach, weniger Müll zu produzieren oder einfach mal raus in den Wald gehen zu können.
Ein Urlaub in einer solchen Stadt bedeutet in gewisser Hinsicht einfach Stress pur. Als wir schließlich an unserem letzten Abend zurück zum Airport fahren – diesmal für $3,50,- pro Kopf mit der Metro – schauen wir trotzdem sehnsüchtig der schwindenden Skyline nach, mit der Gewissheit, dass nur die guten und angehen Erinnerungen von Dauer sein werden.Und auch diesmal wissen wir, wir werden wiederkommen.