Krank sein ist öde-schnöde. Mit einer Grippe gleich mehrere Tage außer Gefecht in den eigenen vier Räumen eingesperrt zu sein, ähnelt einem kompletten Verlust der geistig-rationalen Fähigkeiten. Zum Glück gibt’s Online-Shopping im Design-Himmel.
Definition von Kranksein im fortgeschrittenen Stadium: Schniefend, schwermütig und schlapp schleppt man sich nach einer weiteren, wenig erholsamen Nacht hustend vom Bett zur Couch und meint, man habe gerade untrainiert einen Marathonlauf vollbracht.
Man schlürft literweise Erkältungstee aus der Apotheke, den man schon als Kind nicht mochte und als wäre das nicht genug des Grauens warten riesige weiße Tabletten namens Antibiotika darauf, dem geschwächten Körper den Guerilla-Kampf anzusagen.
Kein Wunder also, wenn der Grippe-Wahn in akutes Design-Fieber umschlägt und ich mich frage, wer den Krieg in mir gewinnen wird: Viren oder Medizin!?
Nun darf man sich in der Theorie wenigstens glücklich schätzen, wenn man besagten Tee nicht selbst in der Küche zubereiten muss, sondern einen vertrauensvollen und loyalen Bettnachbar an seiner Seite weiß, der das übel riechende und noch viel übler schmeckende Heißgetränk aufkocht.
Allerdings bin ich mir in solchen Momenten in der Praxis nie so ganz sicher, ob nicht ein wenig Schadenfreude in den Augen des Mannes aufblitzt, wenn er mir den Tee mit den Worten „Wenns lecker wäre, würde es Limonade heißen und nicht helfen“ unter die Nase hält.
Denn erstens kann mein empfindliches Riechorgan noch so verstopft sein, den intensiven böse Hexen-Kräuter-Aufputsch-Geruch des achso heilenden Heißgetränks vernehme ich leider immer noch zu gut.
Und zweitens scheint mir das dringliche Einflössen der ekligen bräunlichen Flüssigkeit indirekt die kleine aber feine Rache für die schlaflose Nacht zu sein, die mein grippaler Infekt nicht nur mir, sondern vor allem dem arbeitenden und früh aus dem Bett müssenden Mitbewohner beschwert.
Aber vielleicht sind diese Gedanken ja auch nur dem Fieberwahn geschuldet. Während der werte Herr aus der Virenhölle zur Arbeit flüchten kann, bleiben Tee und ich allein zurück.
Ich verkrieche mich unter der dicken Decke, hoffe darauf, dass er mich nicht sieht und von allein verdunstet und entrücke in eine von vielen Dämmerstündchen an diesem und auch am folgenden Tag, die immer nur wieder vom Husten, Tabletten nehmen und dem anklagenden Blick des Tees durchbrochen werden.
Da ich nicht zu der Fraktion zähle, die sich am Vormittags- oder gar Nachmittags-Reality-Fake-Doku-Trash-TV erfreuen kann und der Tatort leider noch keinen eigenen ARD-Spartenkanal besitzt, kommt Fernsehen als Unterhaltungsprogramm für kranke Löwinnen nicht in Frage.
Leider fällt Lesen ebenfalls in die Kategorie „ausgeschlossen“, denn vor meinen schmerzenden Augen tanzen die Buchstaben des sonst favorisierten Krimis wild durcheinander anstatt sich zu sinnvollen Worten zu formen.
Schon nach zwei Sätzen fühle ich mich als hätte ich einen 1000 Seiten Wälzer bei Kerzenschein gelesen.
Mein Blick – schräg am Tee vorbei – fällt aufs iPad und damit auch die Rettung meines Verstandes, der kurz davor war, im stumpfsinningen Wahnsinn des Nichtstunkönnens abzugleiten. Das Tablet kommt wie gerufen: Nicht so schwer wie der Laptop, nicht so verdummend wie das TV-Programm und nicht so anstrengend wie der neue Thriller.
Wie immer wenns mir richtig mies geht, surfe ich zuerst einmal auf meiner allergeheimsten Lieblingsseite vorbei und schmachte für eine rührselig romantische und furchtbar kitschige Sekunde den Ring aller Ringe an, bevor ich mich innerlich selbst zur rationalen Besinnung rufe und schnell bei dem ein oder anderen Onlineshop nach einer Zerstreuung suche.
Doch anscheinend bin ich kränker als ich dachte, denn die Aussicht auf neue Outfits kann meine Laune nicht bessern und auch mein Plus schlägt angesichts der vielgestaltigen Herbstmode.
Also greife ich zur letzten Waffe, übersehe erneut den inzwischen erkalteten Tee und statte stattdessen dem Vitra Haus einen virtuellen Besuch ab.
Wer weiß, vielleicht gibts da neben wunderschönem, zeitlosem Design auch leckeren Kaffee!?
Die Gedanken an das koffeinhaltige Lebenselixier sind vergessen, als ich über den schönsten Stuhl von allen stolpere und mir das lang ersehnte und beinah vergessene Designobjekt mal wieder von allen Seiten begucke.
Der Eames Chair und ich, wir hegen bereits eine lange und bislang noch unerfüllte Sehnsucht füreinander. So oft schon haben wir uns in den vergangenen Jahren meiner Studienzeit angesehen.
Mehr als einmal hat er mich eingeladen, es mir auf ihm gemütlich zu machen, mich von seiner schlichten Schönheit überzeugt und jedesmal, wenn ich ihm und mir ewige Treue schwor, zwang mich ein Blick in meinen Geldbeutel den Schwur schweren Herzens zurückziehen.
Doch erstens sind die entbehrungsreichen Zeiten des Studienlebens Geschichte, zweitens brauche ich dringend einen Stimmungsaufheller, drittens ist der DSW ein Begleiter fürs Leben.
Viertens: Wieviele Gründe brauche ich wohl noch, um die Kreditkarte genauso glühen zu lassen wie es mein vom Fieber glühender Kopf seit Tagen tut?!
Ich bin definitiv im Wahn, ob im Fieber- oder im Design-Wahn scheint unerheblich, wer weiß es schon so genau und wer will es auch schon so genau wissen…
….mitten der Vitra Villa muss ich wohl beim seeligen Gedanken an ein neues Designstück in der eigenen Wohnung eingeschlafen sein.
Das nächste an das sich mein erkälteter Geist erinnert, ist, dass ein wetternder Bettnachbar mir den eiskalten Tee unter die Nase hält und nicht eher Ruhe gibt, bis ich trinke und angewidert in die Welt der harten Fakten zurückgeholt werde.
Ein paar Tage später befinde ich mich auf dem leisen Weg der Besserung, der Tee kann gegen einen Cappuccino ausgetauscht werden und ich fühle mich nach dem Aufstehen nur noch wie nach einem Kurzstreckenlauf.
Wie gut, dass ich mich nun beim stärkenden Frühstück äußerst bequem zurücklehnen kann. Wie gut, ich einen neuen sesshaften und zeitlos schönen Freund fürs Leben gefunden habe, der sich perfekt ins Zuhause einfügt.
Wie gut auch, dass frau nicht jede Woche im Grippe-Wahn vom Design-Fieber gepackt wird.
Copyrights:
Foto vom Ring aller Ringe: Tiffany & Co.