Mit einem Vorwort von Mia
Sie ist überaus klug, charmant und wunderschön. Ihr Lachen: extrem ansteckend. Ihr Humor: fingerspitzengenau feinfühlig auf den Punkt. Die Sommerferien meiner Kindheit ohne sie: unvorstellbar! Ich bewundere sie für ihre Stärke und Geradlinigkeit.
Die Rede ist von meiner großen Cousine, die gleichzeitig so viel mehr für mich ist und schon immer war: lebenslange Vertraute, geduldige Ratgeberin, loyale Freundin im Spiel und im Ernst (‚Müssen wir schon schlafen?“), Beraterin, Kritikerin, Wurzelwutz.
Was uns neben einer ausgeprägten Vorliebe für kulinarische Genüsse im Blut liegt, ist vor allem das Schreiben. Seit ich denken kann, teilen wir diese Leidenschaft und erproben uns seit unserer Jugend mal mehr mal weniger qualitativ hochwertig in dieser Disziplin. Daher freut es mich besonders, dass sie nach mir und Matthias als dritte im Grobelny-Enkelkinder-Verbund entschieden hat, ihrer Kreativität für cococucina freien Lauf zu lassen.
So und nun genug geteasert: Hier kommt er, Stephies zweiter Post.
Jeden Tag sehe ich Dutzende Schriftzüge – auf der Straße, aus dem Zug, ich lese sie an Häusern, sehe sie auf Buttons, Fahnen oder T-Shirts, geschrieben, gezeichnet, codiert. Mittlerweile nenne ich sie Botschaften. Manche von ihnen ziehen mich in ihren Bann, andere werden sofort abgeurteilt (hässlich, unnötig, falsche Rechtschreibung) und wieder andere geben mir Rätsel auf. So beschäftigte ich mich zum Beispiel vier Jahre lang jeden Werktag circa eine Minute damit, folgenden Schriftzug an einem alten Bahnhofsgebäude zu entschlüsseln: KTS bleibt. Heute, nach knapp einem Jahr Elternzeit, wurde mir klar: KTS kann nur Kindertagesstätte heißen. Nett, diese Aussage, und gäbe es eine Unterschriftenliste, würde ich sie sofort unterschreiben. (So ganz richtig lag ich dann aber doch nicht: Antifa Freiburg KTS existiert, kämpft und bleibt)
In den letzten Jahren erlebt der Button als Botschafter offensichtlich einen zweiten Frühling und es gibt so ziemlich alles von „Elvis lebt“ bis „Atomkraft, nein danke“. Leider finde ich Buttons meistens ziemlich undifferenziert, aber ein Text wie „Atomkraft, nein danke, und übrigens, ich bin zwar öko, aber meine Socken sind trotzdem nicht selbstgestrickt“ passt leider auf keinen Button. Bemerkenswert fand ich aber den Button, den sich Jackson bei den „Gilmore Girls“ anfertigen ließ: „I don’t want to know the sex of my baby“ (es wurde ein Junge). Ich kann mich nicht an irgendwelche Buttons an meiner Kleidung erinnern, doch ich besaß in meinem Leben genau zwei T-Shirts mit einer Botschaft darauf. Das eine kaufte ich 2006 für die Firmenweihnachtsfeier:
Das andere noch zu Schulzeiten. Es war weiß und in schwarzer Schrift stand darauf „Today is the tomorrow you worried about yesterday“. Schlau, was? Leider wurde ich dann irgendwann damit aufgezogen und es versank in den hintersten Reihen meines Kleiderschrankes und schließlich im Altkleidercontainer. Nicht sehr mutig. Vielleicht bin ich eher der Sprayertyp, der sich des Nachts irgendwo hin schleicht und der Allgemeinheit was Bleibendes hinterlässt? So wie der Sprayerphilosoph des Heidelberger Hauptbahnhofs, der sich mit „Geist“ verewigte. Ich stelle mir eine Art modernen Goethe vor, der nicht „Mehr Licht“ fordert, sondern „Mehr Geist“. Und ganz nebenbei – sprayen Sprayer eigentlich nur im Schutze der Dunkelheit? Das würde die Qualität so mancher Graffitis erklären.
Doch abgesehen von der künstlerischen Qualität geht es ja manchmal tatsächlich auch um Inhalt. Ein paar Wochen lang konnte man an einer Wand der Mannheimer Post am Paradeplatz ein einfaches, schnörkelloses „Adriano ti amo“ lesen. Ist doch irgendwie romantisch, oder? Also ich würde mich sehr geschmeichelt fühlen, wenn mir jemand so seine Liebe gestünde. Halb Mannheim flanierte daran vorbei, doch dann wurde das Bekenntnis von ein paar kaltherzigen Auftragsliebesschwurtötern übertüncht. Wissen die denn nicht mehr, wie es ist, frisch verliebt zu sein? Was ist so schlimm daran, seine Liebe auf einer Postwand zu verewigen?
Irgendwie mit Liebe zu tun hat auch das Statement jenes alten Paares in Italien, das mir in Livorno an der Strandpromenade begegnete: Sie liefen ein Stück vor mir und trugen beide die gleiche Baseball-Cap. Beim Näherkommen las ich auf der Rückseite der Mützen „Safer Sex“. Damals fand ich das total lustig und dachte mir hochmütig, die wissen doch bestimmt gar nicht, was das bedeutet. Heute bin ich mir da gar nicht mehr so sicher. Wahrscheinlich haben die beiden zehn Kinder und wären froh, man hätte ihnen beizeiten etwas über Verhütung erzählt.
Eine vermeintliche Schmunzelbotschaft kann man auch auf Italiens Autobahnen lesen. Dort sieht man auf jedem zweiten Ausfahrtschild die Nachricht „Dio c’è“ (Gott existiert, Gott ist da). Gibt es nicht wirklich wichtigere Orte, an denen Gott sich aufhalten sollte? Aber immerhin wohnt der Papst in Italien, warum also keine Glaubensbekenntnisse auf der Autobahn? Als ich dies zufällig gegenüber meinem Lieblingsitaliener erwähnte, wurde ich eingeweiht: mit diesem Code teilen Dealer potenziellen Kunden mit, dass es hier Drogen gibt, insbesondere Heroin. Noch Fragen?
Heute habe ich auf dem Nachhauseweg eine neue Botschaft entdeckt. Auf dem Brezelstand bei uns um die Ecke hat jemand etwas klargestellt: We hate nazis. Gleich auf Englisch, damit es auch die internationalen Gäste Mannheims verstehen.
Sympathisch, dass der Besitzer von Golden Brezel International die Schrift nicht überstrichen hat – wahrscheinlich ein echter Linker. Ich glaube, ich werde meine Brezeln in Zukunft nur noch dort kaufen. Andererseits habe ich letzte Woche einen neuen Bäcker ausprobiert und als ich die Brezeln zuhause auspackte, las ich auf der Tüte „Beiß mich doch – ich komm frisch vom Bäcker“. Was für ein Pech, dass der Mitbewohner gerade nicht zuhause war!
© Fotos 1, 4, 5: Mia
© Fotos 2, 3, 6: Stephie