Ich habe vor einiger Zeit einen neuen Begriff gelernt. Ganz klassisch begegneten wir uns zuerst rein theoretisch in Print-Textform in einem Text über das Online-Dating. In schwarzer Schrift auf weißem Papier prangten da sechs Buchstaben, sechs Buchstaben, die ich vorher noch nie gesehen, gehört oder gelesen hatte: „Das MINGLE – Dasein- Eine neue Ära?“.
Naiverweise mündete meine erste Assoziation in dem Vergleich „Mingle klingt bisschen wie ein neues Gesellschaftsspiel“. Nach eingehender textlicher Recherche wurde klar, wie sehr ich irre, gleichzeitig doch nicht irre und wie sehr ich zudem raus bin aus diesem anscheinend nach maximierter Bedürfnisbefriedigung strebenden Geschäft mit der flüchtigen Begegnung, die am besten schnellstens, hübsch unverbindlich und inhaltsleer ausgeführt wird, um fröhlich und erwartungsfroh dem nächsten vermeintlichen Abenteuer entgegen zu rauschen.
MINGLE steht nämlich für eine neue Form von Freunden mit gewissen Vorzügen und umschreibt den zwischenmenschlichen Zustand zwischen „mixed“ und „Single“. Schwer angesagt dank all der sprießenden Dating-Apps, bei denen man und frau sich nicht nur alle 11 Minuten, sondern sogar sekündlich neu verlieben können…rein theoretisch allerdings nur.
Denn rein praktisch bleibt für das Verlieben gar keine Zeit, viel zu sehr sind Mann und Frau damit beschäftigt, möglichst viele Fotos nach links oder rechts zu schieben und damit die Anzahl an potenziellen „Matches“ zu erhöhen. Hübsch effizient, hübsch anonym, vor allem: hübsch traurig.
Um es auf den Punkt zu bringen: Ich komm mir vor wie ein Dinosaurier in der Neuzeit.
Denn auf der einen Seite zähle ich ganz und gar nicht zur Gattung „Haus, Heirat, Kinder und das exakt in dieser Reihenfolge und das möglichst schnell“ und verspüre jedes Mal, wenn eine engere oder entferntere Bekannte mir die klagenden Worte „es muss jetzt mal weitergehen, ich will endlich Sicher-und Gewissheit – er soll mir endlich einen Antrag machen“ vorträgt, unmittelbar das Bedürfnis, direkt zum Hörer zu greifen, um eben diesen einen „ER“ anzurufen und ihm dringend zu empfehlen zu flüchten, solange es noch geht…
Denn mal ehrlich, wohin bitte solls denn genau „gehen“? und was meint „weiter“ und noch schlimmer „sicher“ in diesem Zusammenhang? „Weiter“ in Sachen Zwang und institutionalisierter Verpflichtung und über kurz oder lang ganz „sicher“ schnurstracks weiter in Richtung Untergang dessen, was mal als zuckersüße, leichte, verspielte, vertrauensvolle und freiheitliche Liebelei auf der Basis von Loyalität und Leidenschaft begonnen hat!?
Doch auf der anderen Seite bereitet mir die Vorstellung wirr und hektisch in der schönen, schillernden Scheinwelt des (Digitalen-)Datings umher zu irren bzw. nach links und rechts zu streichen, mindestens genauso viel unverständiges Kopfzerbrechen.
Ich bin eventuell zu oldschool für diese Form des gerade sehr angesagten unverbindlichen Lebens, Liebens, Leidens 2.0 und fühle mich wie eine längst ausgestorbene Spezies:
Meine Lieblingsladies – jede für sich betrachtet, so einzigartig und wertvoll – und ich, wir sind Mitte 30, ledig, die meiste Zeit in uns ruhend und ziemlich glücklich mit uns selbst.
Wir sind in einem perfekten Alter, wir wissen, was wir wollen, wer wir sind, was wir können und wie wir das erreichen. Die Zeiten der Entbehrungen und Kompromisse, die Zeiten der Zweifel und Unsicherheit liegen hinter uns.
Und doch klar, ein entspannter Gegenpart, der mutig genug ist, nicht gleich auf und davon zu laufen, bevor der Startschuss überhaupt gefallen ist, wäre ab und zu ganz wünschenswert.
Wenn ich mich allerdings so umsehe, beobachte, was um mich herum tagtäglich geschieht, stellt sich mir unweigerlich die Frage: Gibt es nur noch zwei sich ausschließende Extreme für Mann und Frau? Entweder das eher konservativ daher kommende drei K-Programm à la Küche, Kirche, Kinder oder aber das sich als liberal und modern verkaufende, unpersönliche, atemlose Abenteuer, bei denen das Herz emotionale Ausgangssperre erteilt bekommt?
Doch außerdem sehe ich noch so viel mehr…Ich sehe all die scheinbaren Extremsportler, all die super tier- und ach so kinderlieben, wahnsinnig männlichen und mindestens ebenso empfindsamen 007s auf der Suche nach dem ultimativen Bond-Girl, mit dem sie dann endlich die Pferde stehlen können, auf denen sie sich Online-Dating wirksam ablichten lassen – oder das zumindest möglichst repräsentativ ihre Match-List verlängert.
Ich sehe insbesondere ein immer größer werdendes Paradoxon zwischen dem modernen Mann und modernen Frau in der Welt des Jagen und Sammelns.
In anschaulich, bunten, Bildern des digital optimierten Ichs erklärt meint dieser Umstand folgendes: Männer wollen heutzutage mehr denn je anscheinend bevorzugt austauschbare Trophäen für ihre überdimensional groß angelegte Glasvitrine, jede Menge Trophäen sogar.
Frauen dagegen streben ebenfalls mehr denn je augenscheinlich danach, die schönste, beste, größte Trophäe in der Vitrine zu sein – mit möglichst wenig Konkurrenz nach rechts und links, versteht sich.
Und ganz dicke kommts, wenn das weibliche Wesen auf der Suche nach dem perfekten Mann für den nächsten Lebenabschnitt (oder zumindest für die nächste Jahreszeit) naiverweise denkt, sie könne die Vitrine im Zweifelsfall eventuell wechseln, wenn es zu eng wird.
Jedoch übersieht sie dabei das essentielle Problem: Da stehen schon wieder andere Trophäen in der vermeintlich besseren Virtrine drin und die hoffungsvolle Frau reiht sich abermals ins muntere Durcheinander von unterschiedlich wertvollen Preisen ein, die allesamt darum kämpfen, einen ehrenvollen, exklusiven Stammplatz zu ergattern.
Wir sind alle so herrlich gut darin, auf der Suche zu sein. Doch gleichzeitig drehen wir uns im Kreis. Denn wir sind leider alle überhaupt nicht mehr geübt darin oder bestrebt, uns wirklich auf unser Gegenüber einzulassen. Wir rennen umher, rennen ruhelos und rastlos immer weiter, denn an der nächsten (virtuellen) Ecke wartet ja vermeintlich schon wieder die nächste große Verheißung auf Liebe.
GENUG – genug von unentschlossenen, ruckelnden, hüpfenden und voll überschäumender Libido herumspringenden Herzen im Zeitalter der austauschbaren, anonymen Virtualität – wie kann dies alles gewollt sein und wie können Mann und Frau glauben, sowas funktioniere oder habe im entferntesten etwas mit Glück und Liebe zu tun!?!
Es gibt diese Tage, an denen ich abends manchmal kopfschüttelnd denke: LADIES, GESAMTSITUATION MY ASS und nur noch ein White Russian – persönlich gemixt von meiner heiß geliebten Lebens-Lachens-Leidens-Lieblings-Lady – kann beruhigende Wirkung auf mich ausüben!
Denn an Tagen wie diesen bin ich ratlos, ratlos wegen all der umher irrenden Seelen meiner rastlosen Generation, die das permanente Suchen perfektioniert, doch das hingebungsvolle Ankommen verlernt hat.
Ich bin ratlos wegen all der Angst, der Verwirrtheit, und insbesondere wegen des in unserer Zeit leider anscheinend einzigen (An-)Triebs nach stetiger, vermeintlicher Optimierung, ratlos wegen des oftmals viel zu schnellen Wegwerfens, von etwas, das vielleicht verdient hätte, sich darauf einzulassen, darum zu kämpfen, entspannt zu schauen, was dann eventuell Außergewöhnliches zwischen zwei Menschen passieren kann…
Aber ja, ich vergass, wir sind alle viel zu sehr damit beschäftigt, nach links und rechts zu wischen anstatt nach innen und auf uns selbst zu schauen und innezuhalten.
Und ich würde gern manchmal ehrlich sagen, wie es ist, ohne all die Dating-Verhaltens-Regeln beachten zu müssen, die ich eh noch nie verstanden habe: Jungs, tief durchatmen!
Ja, wir sind Frauen, ja, wir wissen ziemlich genau, was wir wollen und ja, wir sind in einem Alter, in dem wir dies auch klipp und klar kommunizieren können! Wir sind aber auch in einem Alter, in dem wir gut und gern ziemlich astrein und prima allein klar kommen und auf pubertäre Spielchen können wir ebenfalls verzichten. Wie wäre es stattdessen mal mit einer Begegnung auf Augenhöhe, mit Ehrlichkeit und Mut?
Denkt also das nächste Mal darüber nach, bevor ihr uns eurem akuten Trophäen-Sammeltrieb für eure Vitrine folgend unbedingt von euch überzeugen wollt, nur um eure anscheinend ziemlich verwirrten Egos zu pushen – verwirrt sind wir alle nämlich eh schon viel zu sehr.
Außerdem könnte es ja ganz eventuell sein, dass es uns Frauen wider Erwarten gefällt, was ihr wie mit uns anstellt, und es könnte noch viel mehr sein, dass wir die Telefonnummer, die ihr uns zusteckt, eventuell wirklich aktiv anwählen und nicht nur dazu verwenden, unsere Telefonspeicherkapazität zu verringern. Ich weiß, eher ’ne altmodische Vorgehensweise in Zeiten von tinder, OkCupid und Co.
Also, wie wärs, ihr macht euch Gedanken und wir Ladies machen uns und euch derweil ein paar Drinks…